Page 41 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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wahren Schauspielgrößen markierte einen Wendepunkt. Schon
1777 hatte Corona Schröter die Lila aus Goethes gleichnamigem
Stück auf der Liebhaberbühne gegeben, was alle Beteiligten mit
Stolz erfüllte. Das Frühjahr 1779 brachte den Höhepunkt dieser
Entwicklung. Goethes Iphigenie wurde in Szene gesetzt, mit
Corona Schröter in der Titelrolle der edlen Griechin und Goethe als
Orest an ihrer Seite. Die Uraufführung erfolgte am 6. April 1779 im
Redoutensaal an der Esplanade und machte großen Eindruck. Georg
Melchior Kraus hielt diesen denkwürdigen Moment in Skizzen fest.
Seine Entwürfe vearbeitete er später zu seinem Ölgemälde Goethe
als Orest und Corona Schröter als Iphigenie (datiert Weimar, um
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1800). Dietrich Fischer-Dieskau verdanken wir eine authentische
Beschreibung der Szenerie:
»Vom Prospekt leuchtete ein Tempel, teilweise im Halbrund nach vorn
gewölbt und durch ein Standbild der Göttin Diana geziert, mit
vorgelagertem Rasenteppich, während die vier Kulissenpaare den Hain
darstellten. […] Corona, als einzige Berufsschauspielerin, spielte die
Titelrolle, natürlich in langfließenden weißen Gewändern […]. Goethe
selbst gab den bis zum Wahnwitz gesteigerten Orest in einer Art
römischen Imperatorentracht: Stulpenstiefel, zu den Zehen hin als
Sandalen aufgeschnitten, ziegelrote Tunika, blauer Überwurf eben
jener, der auch viele Jahre später noch Königsmäntel abgab und
wallende Locken ums Haupt, einen Schuppenpanzer mit Schwertgurt um
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die Hüften.«
Die Beschreibung dokumentiert die Möglichkeiten und zugleich die
Grenzen des Historikers. Über die Aufführungen aus jener Zeit be-
sitzen wir nur Zeugnisse aus zweiter und dritter Hand. Anhand
überlieferter Theaterkritiken oder -rezensionen bilden wir uns vom
heutigen Standpunkt ein ›Urteil‹ über historische ›Urteile‹. Im Falle
überlieferter Zeichnungen oder repräsentativer Gemälde von Proben
oder Premieren machen wir uns lediglich ›Bilder von Bildern‹.
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Das Gemälde enstand vermutlich erst 1801 oder 1802, vgl. Birgit Knorr
2003, Bd. 1, S. 116-118; Bd. 2, S. 17, Sp. 1f. sowie ebd. S. 543, Abbildung-
Nr. 77 (siehe unter »Literatur«, Punkt 6: »Bildquellen«).
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Dietrich Fischer-Dieskau: Goethe als Intendant. Theaterleidenschaften im
klassischen Weimar. München 2006, S. 60.
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