Page 44 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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licherweise ganz nüchtern erklären. Mit Ifflands Interpretation des
Clavigo erlebte Goethe zum allerersten Mal hautnah einen der
wichtigsten Schüler Conrad Ekhofs als Repräsentanten der ›neuen
Natürlichkeit‹ in der Schauspielkunst. Wir würden heute sagen,
Goethe hatte sein erstes wirkliches Live-Erlebnis mit einem
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herausragenden männlichen Bühnenstar jener Zeit. Schließlich
agierte Iffland in Mannheim als Mitglied jener Seylerschen Theater-
truppe, die nach dem verheerenden Weimarer Schlossbrand vom
6. Mai 1774, der auch die interne Theaterbühne vernichtete, nach
Gotha weitergezogen war. Unter der Anleitung Conrad Ekhofs und
Heinrich August Ottokar Reichards erlangte das Gothaische Hof-
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theater völlig neue spielerische Qualitäten. Iffland war 1777 als
Neuling von seiner Heimatstadt Hannover zu dieser Truppe nach
Gotha gestoßen und hatte dort aufgrund seiner außerordentlichen
Begabung rasch Furore gemacht. Nach dem Tode Ekhofs war der
Ifflands eigener Schilderung [wohl in einem Brief an seinen Bruder vom
24.12.1779] hatte 3 Jahre zuvor [also im Dezember 1779; Anmerkungen
R. C.] auch Goethe erklärt, der von ihm hochgeschätzte Schauspieler sei als
Carlos im Clavigo ›ein bischen‹ zu geschwind gewesen.« (Schillers Werke,
Bd. 22, S. 423)
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Goethes erste Begegnung mit einem echten weiblichen Bühnenstar jener
Zeit lag zu diesem Zeitpunkt schon etwas zurück. Gemeint ist das persönli-
che Zusammentreffen mit der Schauspielerin Corona Schröter im November
1776 in Weimar. Die gefeierte Mimin hatte Goethe zuvor bereits in Leipzig
auf der Bühne erlebt. Nach der Übernahme der Leitung des Weimarer Lieb-
habertheaters versuchte Goethe mit Erfolg, die gefeierte Darstellerin für
Weimar zu gewinnen. Die erwähnte Darstellung von G. M. Kraus von 1779
zeigt den Goetheschen Orest an der Seite der Diva! Das Gemälde ist nicht
umsonst zu einer Ikone des klassischen Weimar geworden, denn in ihm
wetterleuchtet exakt jene Spannung zwischen (dilettierendem) Dichtergenie
und (brillierendem) Schauspielstar, die auch in der Beziehung zwischen
Goethe und Iffland maßgeblich wirksam werden soll.
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»Hatte I.[ffland] also in Gotha an Gotter einen väterlichen Freund, in Ekhof
ein erhabenes Vorbild, an Mereau einen vortrefflichen Lehrer gefunden, so
gab ihm das gütige Geschick hier auch zwei ziemlich gleichaltrige Genos-
sen in Joh.[ann] David Beil und H.[einrich Christian] Beck an die Seite. Das
Freundschaftsverhältniß, das sich zwischen den drei jungen Leuten bildete,
[...] ist eine der erfreulichsten Erscheinungen in der deutschen Theater-
geschichte.« (Kürschner 1881, S. 2*)
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