Page 50 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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von Ifflands bevorstehendem (letzten) Weimarer Gastspiel im
Dezember 1812 bemerkt Goethe gegenüber Zelter:
»Ifflanden erwarten wir noch vor dem neuen Jahr. Ich freue mich sehr,
ihn nach so langer Zeit einmal wieder zu sehen und die große conse-
quente Ausführung zu bewundern, durch die er jede Rolle zu adeln
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weiß.«
Auf diese vorbehaltlose Briefäußerung folgt eine kritische Passage,
die eine bemerkenswerte Untiefe in Goethes Ifflandbild markiert:
»Es ist wohl eine der seltensten Erscheinungen und ich glaube, daß sie
noch bey keiner andern Nation Statt gefunden, daß der größte Schau-
spieler sich meistens Rollen aussucht, die ihrem Gehalt nach seiner
unwürdig sind und denen er durch sein Spiel den höchsten augen-
blicklichen Werth zu verschaffen weiß. Genau betrachtet hat ein solches
Verfahren auf den Geschmack des Volks einen höchst ungünstigen
Einfluß: denn indem man genöthigt wird, unter einer gegebenen
Bedingung dasjenige zu schätzen, was man sonst nicht achtet, so kommt
ein Zwiespalt in unser Gefühl, der sich bey der Menge gewöhnlich zu
Gunsten des Geringen und Verwerflichen schlichtet, das sich unter dem
Schutze des Vortrefflichen eingeschlichen hat, und sich nunmehr als
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vortrefflich behauptet.«
Subtil ist Goethe hier versucht, seine subjektive Skepsis auch
sprachlich zu kaschieren. Nicht umsonst beeilte er sich, dem
Gesagten eine Bitte um strikte Vertraulichkeit hinzuzufügen:
»Wir wollen aber diese Betrachtungen für uns behalten; sie nützen der
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Welt nicht, die immer in ihrem Wuste hingehn mag.«
Ifflands Nachruhm
Angesichts der enormen Breite von August Wilhelm Ifflands künst-
lerischem Schaffen ist die Frage nach seiner Stellung im Gedächtnis
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Weim. Ausg., IV. Abt., Bd. 23, 1900, S. 199; Brief an Carl Friedrich Zelter
vom 12. Dezember 1812.
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